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Willkommen in der Republik Uzupis! Chaotische künstlerische Freiheit zeigt sich auch auf den Schildern an der „Staatsgrenze“ hinter der Brücke
Foto: Metz
BADISCHES TAGBLATT, 3. März 2018, Nr.52
Dalai Lama Botschafter für eine „Schnapsidee“
Uzupis: Utopische Republik begeistert Künstler mitten in Vilnius Von Hartmut Metz
Jeder Mensch hat das Recht zu sterben, ist jedoch hierzu nicht verpflichtet.“ Dies ist eines von 41, überwiegend merkwürdig klingenden, Gesetzen, die in der utopischen Republik Uzupis gelten. Auch „Eine Katze ist nicht verpflichtet, ihren Hausherrn zu lieben, aber in schweren Momenten muss sie ihm beistehen“ klingt mehr nach Karneval der Tiere oder 1. April als nach Verfassungsartikel. Vermutlich deshalb haben die Gründer innerhalb der Mauern von Litauens Hauptstadt Vilnius den ersten Tag im April zu ihrem Nationalfeiertag erkoren. An dem kostet das Bier – so ist das Usus in Uzupis – nur einen Euro, was mit ein Grund sein mag, dass das Volksfest regelmäßig zigtausend Besucher in den Stadtteil lockt.
Wie jeder Botschafter der Republik querte auch der Dalai Lama anno 2001 die kleine Brücke, die sich über die Vilnia spannt. „Uzupio Res Publika“ und ein Smiley kündigen auf einem Schild das Ende des Staatsgebiets von Litauen an. Die Mona Lisa steht gewiss für die Künstlerkolonie, das Tempolimit von 20 signalisiert womöglich die hier geltende Entschleunigung – und soll dazu beitragen, dass das Verbotszeichen daneben eingehalten wird: Für Autos ist der Absturz von der Brücke in die seichte Vilnia streng verboten. Nur ein paar Schritte musste das geistige Oberhaupt der Tibetaner gehen, um ins Parlament von Uzupis zu gelangen. Praktisch, dass es gleich das erste Café am Platze ist: das „Uzupis Kafine“, das günstigen Rotwein für 2,50 Euro kredenzt. So lässt sich gemütlich lange debattieren und bei den Parlamentssitzungen montags ab 19.30 Uhr nach der Wahrheit forschen …
Der Dalai Lama dürfte sich hier nicht nur wegen der heimeligen Atmosphäre wohlgefühlt und gerne das Amt des Botschafters übernommen haben. Eine Regel des tibetischen Buddhismus lautet „Jeder hat das Recht, glücklich zu sein.“ Das entspricht Artikel 16 der Uzupis-Verfassung. Nummer 17 lässt indes ebenso Spielraum für Depressive, nämlich das zusätzliche „Recht, unglücklich zu sein“.
Während die 41 Gesetze, die auch durchaus philosophische Ansätze statt Nonsens verströmen, zementiert sind, kümmert sich Romas Lileikis um seine vornehmste Aufgabe: der Bestellung von Botschaftern neben dem Dalai Lama. Unter den inzwischen weltweit über 200 Botschaftern und Ehrenbürgern befinden sich auch weit weniger prominente Deutsche.
Szene-Freistaat ersetzt „Straße des Todes“
Aus einer „Schnapsidee“ heraus rief Lileikis 1997 Uzupis in bierseliger Stimmung mit Freunden ins Leben. Das im 16. Jahrhundert entstandene jüdische Viertel galt nach dem Krieg als gefährliches Pflaster. Die Sowjets nannten die Hauptstraße wegen eingenisteter Banden schlicht „Straße des Todes“. Weil dieser Altstadt-Teil nach dem Kalten Krieg ein Problemviertel blieb, hatte das Rathaus nicht viel dagegen einzuwenden, als der in Litauen berühmte Regisseur und Poet einen „neuen Staat“ gründen wollte. Das Image der 7 000-Seelen-Kommune wandelte sich rasch. Die Gemengelage aus freien Radikalen lockte Revoluzzer und Künstler aus allen Landesteilen an. Mittlerweile ist es dort ganz schön teuer geworden für litauische Verhältnisse. 10 000 leisten es sich und sind sich für keine Aktion zu schade. So schießen aus dem goldigen Engel mit Horn, dem Wahrzeichen der Republik, an all den vielen Feiertagen Feuerwerksraketen in den Nachthimmel oder an Weihnachten steht ein großer Baum zu seinen Füßen. Am „Tag des Windes“ werden Gedichte rezitiert. Lileikis ist mittendrin und präsentiert sich schon mal in diesem Zirkus in entsprechendem roten Gewand und Gamaschen.
Generell ist der 58-Jährige aber ein eher bescheidener Geselle. „Romas zeigt sich nicht so gerne in der Öffentlichkeit“, unterstreicht die Assistentin des Präsidenten, Ieva Matulionyte, deren Kinder nun in vierter Familien-Generation in dem Vilniuser Stadtteil leben. Als Parlamentsmitglied und Direktorin des fiktiven „Nationalmuseums von Uzupis“ schiebt sie erklärend noch nach: „Romas ist ein Dichter und Philosoph.“ So ist er wohl auch auf die Idee gekommen, einen Flughafen für 2018 zu planen, erzählt Matulionyte schmunzelnd. Weil es aber keinen Platz zum Landen gibt in diesem Ministaat, der in 15 Minuten zu Fuß durchschritten ist, sofern man nicht bei irgendeinem Künstler oder einer Galerie im Hinterhof verharrt, bleibt es ein rein fiktives Projekt: „Auf dem Flughafen sollen Ideen landen!“ Ob dieser schneller eröffnet und dichtmacht als der Berliner Flughafen, gilt es abzuwarten. Manches wird in Uzupis auch wieder rasch eingestampft – etwa die Armee mit zwölf Soldaten. „Keiner hatte Angst vor uns“, ulkt Lileikis, weshalb das Parlament das Militär in die Wüste schickte.
Rund um das Art-Incubator-Haus mit Museum finden sich zahllose Kunstwerke: vom Zelt des Dalai Lama mit bunten Flaggen über ein Zebra mit eingelassenem Schachbrett bis zu einem verwaisten Klavier im Schnee, das drei dick eingemummelte junge Spanierinnen bei frostigen Temperaturen von -15 Grad im baltischen Winter beäugen. Künstler siedeln sich in Uzupis an und erhalten für drei Jahre quasi ein Stipendium. „Wir haben aktuell 17 Studios und 14 Büros mit zum Beispiel Start-up-Designern in Uzupis“, berichtet Parlamentsmitglied Matulionyte.
Das Projekt zwischen Nonsens und Nachbarschaftshilfe begeistert Rüdiger Eichholtz. Der Konzeptkünstler und Impresario organisiert nicht nur gerne im Ruhrgebiet, sondern auch in Litauen Events – zumal Vilnius zu den Partnerstädten von Duisburg gehört. „Die Mentalität in Uzupis ist super. Im Baltikum sind alle sehr offen, hier kann man mit allen experimentell arbeiten“, findet der 52-jährige Moerser.
Zu den Freischaffenden in Uzupis zählt Kamile Proskeviciute. Im Hinterhof des Art-Incubator-Hauses verkauft sie ihre Keramik-Arbeiten, Bilder und Souvenirs. Während sich momentan im strengen Winter nur wenige Schaulustige auf das „Staatsgebiet“ verirren, brummt das Geschäft im Sommer. „Uzupis ist ein Kuriositätenkabinett und ein Anziehungspunkt für Künstler aller Art. Jeder ist freundlich zum anderen. Ich mag es hier“, schätzt Proskeviciute die Atmosphäre, „jeder hat eine offene Hand und gibt sich offen.“ Grinsend fügt sie noch hinzu: „Die offene Hand symbolisiert aber auch nach Meinung einiger, dass manchem das Geld durch die Finger rinnt.“ Sicher zeigt die Flagge von Uzupis auch deshalb eine Hand, in deren Mitte sich ein rundes Loch befindet. Poet Lileikis erklärt dies allerdings leicht abgewandelt: „Niemand kann uns besitzen, und jeder kann hier Bürger sein, auch wenn er keinen Besitz hat.
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